Hühner auf RTL2

22. Juli 2008 - gesus - Lesezeit: 6 - 7 min.

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Jamie Oliver ist ein englischer Fernsehkoch, der in letzter Zeit für reichlich Aufsehen sorgt. Ich schaue nun wirklich nicht viel fern, und schon gar keine Kochsendungen, allerdings erscheint es mir, als hätte ich eine wirklich gute Sendung verpasst. Dass diese Sendung nun ausgerechnet noch bei dem nicht gerade für das hohe intellektuelle Niveau bekannten TV-Sender RTL2 lief, verblüffte mich dann noch mehr. Aber zum Glück gibt es ja Dienste wie youtube.com, mit denen ich meine Versäumnisse nachholen konnte.

Jamies Hühnerhölle hieß die kürzlich ausgestrahlte Folge seiner Kochshow, in der er verschiedene Leute zu einem Galadiner einlud. Vom Ei bis zur Hühnerbrust sollte alles, was sich ums Huhn drehte auf der Speisekarte stehen. Zwischen den Gängen erfuhren die Geladenen immer mehr über die Haltung von Hühnern.

Dann wurde serviert: Doch als die Servierhauben angehoben wurden, erkannte man, dass nicht etwa ein Omelette zum Vorschein kam, sondern lebendige kleine Küken, die in ihrem flauschigen Federkleid ängstlich umherwatschelten und nervös piepten.

Die Experten auf der Bühne referierten über die industrielle Produktion von Eiern und über das Grundproblem bei diesem Produkt: Nur die Hennen legen Eier. Somit wurden die Zuschauer aufgefordert, die Tiere nach Geschlechtern zu trennen (unterschiedliche Geschlechter haben unterschiedliche Gefiederfarben). Das Publikum war entzückt von den kleinen Geschöpfen, streichelte die Tiere, setzte sie in die vorgesehenen Behälter für männlich sowie weiblich und ahnte noch nicht, was auf sie zukommen würde.

Dann wurden sie eingesammelt und zur Bühne gegeben, zum einen die Weibchen und zum anderen die für die weitere Produktion unnützen Männchen. Die dort stehenden Experten verrieten nun, dass die industrielle Lösung des Problems eine Entsorgungskammer sei, in der alle männlichen Küken getötet würden. Die Herren auf der Bühne packten also die kleinen Tiere in eine gläserne Box, um sie innerhalb der nächsten Minuten mit einem Kohlendioxidgemisch zu ersticken. Die Kameras nahmen dabei die mehr und mehr nach Luft schnappenden, langsam erstickenden Tiere auf. Nach wenigen Minuten lagen alle Tiere tot in der Box.

Die gerade noch vor Entzückung faszinierten Zuschauer hatten nun alle Probleme, die Tränen zurückzuhalten, was einigen nicht gelang.

Jamie Oliver machte durch diese und auch durch andere Vorführungen in seiner Show deutlich, wie wenig bewusst sich offenkundig manche Menschen sind, welche Folgen das Handeln als Kunsument hat. Es ist ja schließlich keine Neuigkeit, dass männliche Hühner eben keine Eier legen; dass es Hühnern – ob sie nun in der Mast oder in der Eierproduktion eingesetzt werden – nicht gut geht, ist auch kein Geheimnis.

Trotzdem wird Olivers Show als Skandal bezeichnet. Warum? Es zeigt, dass Menschen sich offensichtlich ihrer moralischen Bedenken bewusst sind, jedoch beim Konsum von Massentierhaltungsprodukten die Fähigkeit besitzen, den ganzen Umfang der Misère gedanklich auszublenden, ihre moralischen Bedenken zu verdrängen. Mit der Realität konfrontiert, werden sie sich ihrer Bendenken wieder bewusst und fangen an zu weinen (oder sie beweisen ihre Unfähigkeit, ungemütliche ethische Entscheidungen zu treffen weiterhin und machen schlechte Witze über Vegetarier/ Veganer. Aber das soll hier nicht das Thema sein ;-) ).

Diese Sendung sollte vielen Menschen die Augen geöffnet haben. In der Show ging Jamie Oliver nicht nur auf die Eierproduktion, sondern auch auf die Hühnerfleischproduktion ein und stellte plakativ gegen die immerwährende Konsumentenregel “je billiger desto besser” ein “je billiger das Fleisch, desto armseliger das Hühnerleben” entgegen.

Und auch hierdurch überzeugte Menschen, die sich ökologisch/ tierrechtlich bewusst ernähren wollen, werden nun unweigerlich ein Problem mehr haben: Bioeier bedeuten zwar für die Hennen bessere Bedingungen (besser bedeutet keineswegs artgerecht im ethischen Sinne), aber sie ändern nichts an der Tatsache, dass auch aufgrund dieser Haltungsart – laut Oliver – rund 30 Millionen männliche Küken alleine in Großbritannien täglich den qualvollen Erstickungstod finden.

Jamie Oliver macht auf Missstände aufmerksam, die eigentlich schon bekannt sein sollten. Er konfrontiert seine Gäste und Zuschauer mit Fakten der industriellen Produktion und demonstriert das Unangenehme, was sonst hinter verschlossenen Türen – für Konsumenten unsichtbar – passiert.

Allen Vorwürfen der Oberflächlichkeit und der Gefühlsduselei zum Trotz ist es eine sehr gute Idee, Menschen klar zu machen, was Konsum bewirkt und was durch industrielle Fertigung alles unter den Teppich gekehrt werden kann. Leider ist es offenbar zur Verbreitung dieser Erkenntnis nötig, Tiere umzubringen (wie zum Beispiel auch in der Folge, in der er das im Islam und Judentum vorgeschriebene Schächten am Beispiel eines Huhnes demonstrieren lässt).

Bedauernswerter Weise kommt Jamie Oliver nicht zu dem Schluss, dass es in einer so weit entwickelten Gesellschaft durchaus möglich ist, weitestgehend auf Fleisch und Eier zu verzichten. Er macht indes Werbung für den Kauf von Biofleisch. Dennoch ist er einer von vielen, die versuchen, den ethischen Diskurs um den Umgang mit Tieren voranzutreiben. Und das ist auf jeden Fall mehr als begrüßenswert.

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