Die GRÜNEN und Homöopathie

12. November 2019 - Christian Saris - Lesezeit: 10 - 12 min.

gruene politik wissenschaft

Im Bayerischen Landtag (Drucksache 18/3320) wollte eine Gruppe von CSU Abgeordneten die bayerische Landesregierung auffordern, durch eine Studie untersuchen zu lassen,

wie ein reduzierter Antibiotikaeinsatz im medizinischen Bereich realisiert werden kann.

Man wolle einen Weg suchen, Todesfälle durch multiresistente Keime zu vermeiden. Soweit so gut. Dann wird es aber vollkommen bizarr:

Dabei soll auch und insbesondere die Rolle alternativmedizinischer Methoden in den Blick genommen werden. Auch soll in diesem Zusammenhang eine mögliche positive Rolle von ggf. ergänzend verabreichten homöopathischen Präparaten beleuchtet werden.

Man möchte also ermitteln, ob die so genannte “Alternativmedizin” und besonders die “Homöopathie” geeignet ist, in dieser Hinsicht Todesfälle zu verhindern, denn laut einer Studie der OECD könnten in den kommenden 31 Jahren rund 2,4 Mio. Menschen in Europa, Nordamerika und Australien an Infektionen mit multiresistenten Keimen versterben. Dieser Anstieg der tödlichen Infektionen sei in der “oftmals unnötigen Antibiotikaverordnung” begründet.

So löblich es ist, sich Gedanken zu machen, wie man dem überbordenden Gebrauch von Antibiotika und deren durchaus ernst zu nehmender Gefahr der Multiresistenzen entgegenwirken zu wollen, so weltfremd wirkt es doch, dass man versucht, Wirkungszusammenhänge von Zuckerkügelchen nachzuweisen, die man schon so oft versucht hat, nachzuweisen, jedoch immer gescheitert ist. Ein wissenschaftlich plausibler biochemischer Wirkmechanismus, der über den Placeboeffekt hinausgeht konnte bis dato jedenfalls nicht nachgewiesen werden.

Na und? Ist doch nur ein Prüfantrag!

Naja, das Schlimme daran ist:

  1. Der Antrag wurde mit der Mehrheit der Stimmen im bayerischen Landtag angenommen.
  2. Dies hat zur Folge, dass eine Studie mit Steuermitteln bezahlt wird (geschätzte 300.000 bis 400.000 Euro), dessen Ergebnis nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bedeutungslos sein wird.
  3. Schaut man sich das Abstimmverhalten an, so fällt auf, dass nicht nur die Regierungsparteien (CSU und Freie Wähler) für den Antrag gestimmt haben, sondern bis auf drei Enthaltungen auch alle anwesenden Fraktionsmitglieder der GRÜNEN.

Die Reaktionen

Die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag war sichtlich irritiert und veröffentlichte ein Sharepic mit dem Abstimmverhalten der einzelnen Fraktionen und stellte verständlicherweise fest:

Hier das Ergebnis der heutigen Abstimmung zum absurden Homöopathie-Antrag der CSU, die untersuchen lassen will, ob sich eine Sepsis statt mit Antibiotika nicht auch mit Zuckerkügelchen behandeln lässt. Wir sind etwas fassungslos. (Quelle)

(Quelle)

Der Facebookbeitrag hat bis heute (Stand 12.11.2019) 730 Kommentare. Zumeist sind es Kommentator*innen, die das Abstimmungsverhalten der GRÜNEN nicht nachvollziehen können und die Fraktion ob ihrer Wissenschaftsferne ins Lächerliche ziehen. Der Druck auf die GRÜNE Fraktion schien schließlich so hoch geworden zu sein, dass sie sich genötigt sah, selber hier den Beitrag der SPD zu kommentieren. Dieser geht jedoch völlig am Kern der Kritik vorbei und sorgte in Folge für noch mehr Gelächter und Kopfschütteln.

Wir Grüne wissen, dass wir ein zunehmendes Problem mit multiresistenten Krankheitserregern, die aus überbordendem Antibiotikaeinsatz resultieren, haben. Es ist gut, dass die Söder-Regierung nach Alternativen sucht und den Antibiotika-Einsatz wissenschaftsbasiert zurückfahren will

Grüne Glaubwürdigkeit!

Ich bin Mitglied der GRÜNEN, politisch aktiv und bin gerade dabei, mein politisches Engagement für diese Partei zu verstärken. Keine andere Partei vertritt meinen politischen Standpunkte so wie diese Partei. Gleichwohl habe ich aber eine klare Haltung zum Thema Homöopathie und bin fest davon überzeugt, dass die Wissenschaft die Methode der Wahl ist, politisches und staatliches Handeln zu leiten. Meine Partei ist die einzige Partei, die seit Jahrzenten in ökologischen Fragestellungen (zum Beispiel Klimaschutz) erstens eine klare Kante bezieht und zweitens diesen Fragestellungen eine hohe politische Priorisierung beimisst. Dies tut sie weitestgegend nüchtern, rational und auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Gerade bei emotionalen Themen - und das Thema Ökologie wird derzeitig sehr emotional politisch bearbeitet - ist es ungeheuer wichtig, sich auf Rationalität zu berufen und gerade nicht die unzählig vorhandenen Verschwörungsfantasien sowie emotions- und glaubensbasierten Entscheidungsmodelle zu bedienen. Dies finde ich besonders wichtig, da extremistische Strategen genau auf diese Mechanismen zurückgreifen, um ihr Klientel zu erreichen, zu aktivieren und zu erweitern. Dieses Spiel darf niemand mitspielen, der eine offene, freie Gesellschaft gutheißt und einen demokratischen Rechtsstaat erhalten will. Denn ein funktionierender Rechtsstaat heisst auch, dass er vorhersehbar und nach festen Regeln handelt. Glauben oder Metaphysik haben da nichts zu suchen.

Umso schmerzlicher ist es für mich, festzustellen, dass es bei uns GRÜNEN offensichtlich größere Gruppen gibt, die diese Wissenschaftlichkeit in Teilen in Frage stellen oder akzeptieren, dass ein Teil der Wählerschaft dies tut.

Das Thema Homöopathie ist hier gleichermaßen zu nennen wie auch die Themen Glyphosat und Gentechnik. Auch hier gibt es Parteientscheidungen, die scheinbar bar jeder Wissenschaftlichkeit und aufgrund von unbelegbaren Befürchtungen oder Fehlinformationen getroffen wurden. Aber dies ist sicherlich ein anderes Thema.

Und jetzt?

Vom 15. bis zum 17. November 2019 findet in Bielefeld die Bundesdelegiertenkonferenz der GRÜNEN statt. Auf dieser werden viele wichtige Richtungsentscheidungen diskutiert und beschlossen. Ein Thema könnte auch das Thema Homöopathie sein. Der Antrag “Echter Patient*innenschutz: Bevorteilung der Homöopathie beenden” hat schon die Gemüter bewegt (siehe Diskussionen im o.g. Link) und man überlegt, diesem polarisierenden Thema eine eigene Veranstaltung zu widmen.

Ich selber habe den Antrag unterstützt und wünsche mir, dass die Partei zu diesem Punkt rasch und eindeutig Position bezieht. Gleichwohl kann ich aber auch verstehen, wenn man sich dazu entschließt, diesem Thema eine eigene Veranstaltung zuzugestehen, sofern dann die Zielrichtung ist, einen gemeinsamen Beschluss in dem Thema zu fassen.

Ich halte jedenfalls die Wissenschaftsferne bestimmter Parteifreund*innen für wenig glaubwürdig, ja parteischädigend. In Gesprächen mit Freunden und potenziellen Wähler*innen stoße ich auf immer mehr Unverständnis in Bezug auf die Akzeptanz der Homöopathie im Politikverständnis der GRÜNEN. Traurig aber wahr.

Worum es eigentlich geht

Der eigentliche Knackpunkt, der hinter der ganzen Debatte steht ist doch der Umstand, dass medizinische Güter und Dienstleistungen endlich sind und dass das Problem entsteht, Kriterien zu entwickeln, wie der Staat oder Krankenkassen welche Art von Therapien und Medikamente unterstützen sollen. Viele Menschen scheuen diese Diskussion, da sie der Meinung sind, dass man so etwas nicht rationieren sollte. Letztendlich kann sich jedoch niemand davor erwehren, dass es schlichtweg nicht möglich ist, jede*n mit jeder möglichen Therapie zu versorgen.

Die Ausarbeitung eines festen, für alle gültigen und nachvollziehbaren Regelwerkes, das entscheidet, wer unter welchen Umständen welche Mittel zur Verfügung gestellt bekommt, ist daher unumgänglich. Eine sinnvolle Regel, die als Eingangskriterium aller zu berücksichtigenden medizinischen Güter dienen sollte ist die wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit. Ist diese vorhanden, kann man darüber verhandeln, wer diese unter welchen Umständen staatlich bezuschusst bekommt. Falls die Wirksamkeit nicht gegeben ist eben nicht. Ob das Mittel dann ein Produkt der pharmazeutischen Industrie ist oder ein Produkt der Naturheilkunde, ist dann völlig unerheblich.

Quellen:

Medienecho