'Resource Exhaustion', 36c6@leipzig

5. Januar 2020 - Christian Saris - Lesezeit: 12 - 14 min.

nerds' stuff reisen technologie

Rückblick

Vor 13 Jahren war ich zum ersten und einzigen Mal beim Chaos Communication Congress. Damals - beim 23c3 - war es eine zugleich emanzipatorische aber auch etwas ambivalente Erfahrung, die ich damals im Berliner Kongresscenter sammeln konnte. Emanzipatorisch deshalb, weil sich damals in meinem Umfeld nur wenige Menschen fanden, die eine Diskussion über Tech-Nerd-Themen in Verbindung mit gesellschaftlichen Belangen interessant fanden. Wenn man sich über Dinge wie Hacken - ob nun im technischen oder im sozialen Kontext gemeint - unterhalten hat wurde es ab einem bestimmten Punkt schwierig, sein Umfeld zu überzeugen, dass es lohnt, sich darüber Gedanken zu machen, dass das Technisches immer mehr in das Soziale hineinwirkt. Auf dem Kongress war dies nicht der Fall. Hier war es möglich, 24/7 Gespräche hierüber zu führen, ohne jemanden überzeugen zu müssen oder zu langeweilen. Alle waren dorthin gekommen, um diese Gespräche zu führen, um sich auszutauschen, um gemeinsam Technik und Gesellschaft zu hacken, um anzupacken und zu gestalten und: um gemeinsam Spaß daran zu haben.

Auf der anderen Seite war im Umfeld des Kongresses auch immer ein Millieu des Chauvinismus zu spüren. Stellte man eine Frage, so kam es nicht selten vor, dass von bestimmten Leuten einem vorgeführt wurde, wie schlecht man die Frage gestellt habe und dass dies ja zeige, wie wenig Ahnung man doch habe. Außerdem tat sich der Club sehr schwer tat, politisch eindeutige Aussagen gegen Rechts zu machen, was ich missbilligte.

Things changed a lot

Das alles ist jetzt dreizehn Jahre her und die Dinge haben sich zum Glück stark verändert. Unter dem Motto Resource Exhaustion fand der Kongress - der 36c3 - in diesem Jahr in Leipzig statt. Etwa 15.000 Teilnehmer*innen fanden den Weg in die Leipziger Messehallen. Direkt hinter der Eingangstüre wurde man von einem Banner begrüßt, der Chauvinismus und Nationalismus als unvereinbar mit den moralischen Grundsätzen des Clubs erklärte (später hing daneben eine Antifa-Flagge).

Aber auch nach dem Einlassprozedere wurde deutlich, dass sich einiges geändert hat. Das Publikum war bunt gemischt. Der Frauenanteil war vor 13 Jahren noch sehr gering. Dieses mal hatte ich das Gefühl, dass es nahezu ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis gab. Das Publikum war in fast allen Belangen erfreulich divers. Der Anteil der jungen Familien war ebenfalls spürbar hoch: Ein eigener Bereich für Kinder war eingerichtet und er wurde rege genutzt. Beim Opening-Event wurde ganz klar gestellt, dass man hier genau richtig ist, wenn man neugierig ist. Spezialwissen sei zwar nett aber keine Eingangsvoraussetzung, um hier mitzumachen. So soll es sein!

Der Ort des Geschehens - die Messe Leipzig - war deutlich größer als das Berliner Kongresszentrum zum 23c3. So kam es, dass sehr viele Leute mit unterschiedlichsten Fortbewegungsmitteln umherfuhren und -liefen… und zu meinem Verblüffen alles konfliktfrei. Alles funktionierte auffallend reibungslos. Niemals sah ich Müll auf dem Boden liegen. Alles schien wohlorganisiert. Bei den Unisex-Toiletten gab es keine Schlangenbildung. Dort aufgehängte Schilder von help.ccc.de wiesen nach den diskutierten Übergriffen auf die Nummern von Hilfe-Nummern hin.

Freiwillige Helfer - so genannte Engel - halfen als Platzanweiser*innen, Türaufhalter*innen, Mülleinsammler*innen. Sie moderierten die Veranstaltungen an, sie dolmetschten synchron in Französisch, Englisch oder Deutsch, sie sorgten für Sauberkeit überall auf dem Gelände und natürlich auch hinter den Kullissen. Einfach toll, wenn soetwas so professionell auf Grundlage von Ehrenamt gelöst wird. Ein großes Danke an alle Engel!

Und inhaltlich so?

Gegenüber meinem letzten Besuch vor 13 Jahren hatte sich auch die inhaltliche Aufstellung massiv verändert. Damals war die Erkenntnis, dass der technische Fortschritt eine Menge ethischer und sozialer Themen tangiert noch recht jung. Heute ist dies allgemein bekannt und die Themen waren so divers wie das Publikum. Ich lernte u.a. etwas über

Ungefähr zur Halbzeit des Kongresses wurde mir bewusst, dass ich einen Schwerpunkt auf die zahlreichen Assemblies setzen sollte. Auf diese Weise war es möglich, Lockpicking auszuprobieren, mit den Macher*innen der Rohrpost aus Halle 3 zu sprechen, T-Shirts im Siebdruckverfahren herzustellen, zu löten und ganz viele Gespräche mit interessanten Leuten zu führen.

Resümee

Ich bin immer noch stark begeistert und mein Fazit lautet: Nächstes Jahr auf jeden Fall wieder. Der Urlaubsantrag ist schon gestellt. :-) Schön wäre es ja, wenn der Kongress im nächsten Jahr auch in NRW endlich einmal als Bildungsurlaub anerkannt würde.

Update

Weitere Berichte über den 36c3:

Anhang: Notes to myself

Dies sind meine Erkenntnisse, die ich fürs nächste Mal festhalten möchte:

  • Talks sind cool, Assemblies sind cooler!
    Die Talks in den großen Hallen sind interessant und gut. Man kann sie aber - wenn man das möchte - in der Regel alle später im Nachgang noch in der Aufzeichnung anschauen. Bei den Assemblies ist das nicht der Fall. Man trifft dort auf jeden Fall die interessanten Leute und dort werden Themen angesprochen, die nicht unbedingt die breite Öffentlichkeit der nunmehr doch 17.000 Kongressteilnehmer*innen interessiert.
  • Scooter!
    Die Messehallen in Leipzig sind groß und der Kongressbesuch ist anstrengend. Grund genug, Kräfte für das Wesentliche aufzusparen. Viele Leute nutzten Fahrzeuge (wie Scooter, eScooter oder Fahrräder), um von A nach B zu kommen, ich nicht. Schaue ich auf meinem Fitnesstracker, dann habe ich 20k-30k Schritte pro Tag zurückgelegt. Auf dem 36c3 gab es an verschiedenen Stellen Scooterparkplätze, so dass das Mitführen und Abstellen unproblematisch war. Überraschend, wie rücksichtsvoll, harmonisch und unproblematisch der Verkehr dort ablief.
  • Notebook!
    Das nächste Mal werde ich wieder ein Notebook mitbringen. Alleine ein Phone/ Tablet ist nicht ausreichend. Manchmal möchte man einfach Sachen ausprobieren, die nur mit Hardwaretastatur zu erledigen sind.
  • Ohrenstöpsel!
    Auf dem Kongress ist alles interessant und aufregend. Man kann nicht alles mitbekommen. Wichtig ist, für Ruhezeiten zu sorgen. Mit einplanbar sind trotz der vielen Leute durchaus Powernaps vor Ort, denn neben dem Quiet Hack Center finden sich zahlreiche andere Ruheplätze: An verschiedenen Orten finden sich gepolsterte Sitzmöbel, Liegesäcke oder Hängematten zum Schlafen. Für mich allerdings wichtig: Ohrenstöpsel einpacken! Denn die Schlafmöbel sind meistens nicht von Ruhe umgeben (Ausnahme: Quiet Hack Center).
  • DECT-Telefon
    Es klingt antiquiert, aber ein nützliches Helferlein auf dem Kongress ist ein DECT-Telefon. Einfach ein Haustelefon von zu Hause mitbringen, eine Nummer reservieren und schon ist man über das interne Haustelefon auf dem ganzen Gelände erreichbar. Alternativ war es auch möglich, eine SIM-Karte vom NOC zu bekommen und auf das kongresseigene GSM-Netzwerk zurückzugreifen oder per SIP zu telefonieren, aber das war ein wenig wackelig (und nicht jede*r hat ein Dual-SIM-Telefon). Vorteil: Interessiert man sich für ein Projekt/ Assembly/ etc. und findet man niemanden vor Ort vor, kann man so unkompliziert dort anrufen.