Sport ist Mord?

12. Mai 2021 - Christian Saris - Lesezeit: 10 - 12 min.

fahrrad laufen sport

Tldr; Ein langer Text. Die Kurzfassung: Wie man trotz Arthritis Sport machen kann und somit dafür sorgt, dass einen die Krankheit nicht so ausbootet wie sie das könnte. Oder aber: Wie man Sport mögen kann.

Sport ist Mord! - Das habe ich jahrelang gedacht und auch gelebt. In der Schule war ich in Sport oft einer derjenigen, die als letztes in die Teams gewählt wurden. Ich war nie sonderlich sportlich, hatte eine schlechte Körperbeherrschung aber hatte auch nie so richtig die Notwendigkeit gespürt, Sport zu treiben.

Untergewicht begleitete mich durch meine Jugend, und das bis zum Ende meines Studiums hin. Dann änderte sich viel. Bürojob und das Ende Studentenlebens im finanziellen Notstand“_ führten dazu, dass ich mich immer weniger bewegte, mehr aß, mehr Pfunde auf die Waage brachte und schließlich mit Anfang 30 - etwas übergewichtig - erste richtig unangenehme orthopädische Probleme bekam.

Ich hatte neben Rückenschmerzen auch Schmerzen in Zeh- und Fußgelenken. Letztere wurden immer stärker und es kam zum ersten Ausfall, bei dem ich es vor Schmerzen nicht mehr geschafft habe, die Wohnung zu verlassen. Ein durchaus einschneidender Moment meines Lebens, denn ich lernte in Folge, dass Schmerzen nahezu 100% der Gedanken einnehmen können, die man am Tag so hat. Nach etlichen Arztbesuchen wurde mir klar: Ich litt an Arthritis, einer in Schmerzschüben erscheinender rheumatischen Autoimmunerkrankung.

Ängste, dass das nicht besser werden wird, dass man nicht mehr arbeiten kann, dass man all die schönen Sachen im Leben nicht mehr machen kann… all das schwirrte mir immer wieder im Kopf umher. Eine Erfahrung, die nicht sonderlich schön ist, aber die ich hier auch nicht weiter ausbreiten möchte. Das gab mir ziemlich zu denken und ich verstand auf einmal viel genauer, wie wahr und wichtig die Worte waren, die mir dereinst als Kind die alte Großtante immer wieder zu sagen pflegte: “Das Wichtigste ist, dass Du gesund bist.”

Man könnte auch Sport treiben…

Zurück zur Geschichte: Ich las, dass Bewegung und Ausdauersport bei Arthritis die Wahrscheinlichkeit der Schübe reduziert. Nun, wenn man gerade mit Schmerzmitteln vollgepumpt auf der Couch sitzt und sich jeden Schritt sehr genau überlegt, weil trotzdem jede Bewegung weh tut, erscheint der Gedanke, Ausdauersport zu treiben geradezu absurd weit weg.

Dennoch: Die Krankheit verläuft in Schüben. Und zwischen den Schüben versuchte ich, eine Runde Jogging in meinen wöchentlichen Rhythmus zu integrieren. Ich legte mir ein Fitnessarmband zu, um einen Überblick über meine täglichen Bewegungsgewohnheiten zu erlangen und auch um die Läufe zu dokumentieren. Statistiken - das wusste ich - motivieren mich grundsätzlich. So auch beim Laufen, denn somit wurde der Wettlauf gegen sich selbst möglich. Die Feststellung, dass man dieselbe Strecke von vorgestern nun 10 Sekunden schneller geschafft hat, motivierte mich durchaus.

Die Lauferei war jedoch sehr mühsam und ich merkte schnell, dass es die Zehengelenke auch zwischen den Schüben stark beanspruchte. Der nächste Schub ließ dann nicht lange auf sich warten. Keine Lösung auf Dauer.

Ein Rad änderte dann alles…

Irgendwann legte ich mir ein neues Fahrrad zu, da ich probieren wollte, ob Fahrradfahren eher etwas für mich ist. Auch hier hatte ich Bedenken, denn ich erwartete eine Verschlimmerung meiner RÜckenprobleme, die sicherlich auch mit dem Übergewicht zu tun hatten.

Aber siehe da: Fahradzufahren ging recht gut. Da die Bewegungsabläufe beim Fahrradfahren wesentlich gelenkschonender waren, waren diese zwischen den Schüben weniger gereizt.

Meine Fahrradtouren waren zunächst 20-30 km Runden, aber schon recht bald wurden mehr daraus, meine wöchentlichen Standardtouren waren bald 40 und nach ein paar Monaten sogar 80km lang.

Die Abbildung zeigt meine damalige Standardtour, die ich beharrlich wiederholte.

Ich schaute, dass ich im Sommer alle zwei bis drei Tage eine Tour machte. Das kostete Disziplin, ich merkte jedoch, dass es mir gut tat. Eine weitere Umstellung brachte der zeitliche Aufwand mit sich, den man nun mal hat, wenn man 80 km lang auf dem Sattel sitzt. Wöchentlich neun bis zehn Stunden Sport in den Alltag zu integrieren setzt schon einen Wandel in der Freizeitgestaltung voraus. Ich bin sehr froh, dass meine Frau Parisa den Nutzen dieser Aktivitäten für mich gesehen hat. Sie ging sehr umkompliziert damit um, dass ich einen beträchtlichen Teil meiner Freizeit nun ohne sie verbrachte, denn Radfahren ist nicht ihrs - aber das ist eine andere Geschichte.

Schwierig waren indes die Wintermonate. Radeln im Winter, bei Dunkelheit, Nässe und Kälte sind kein Spaß und bisweilen gefährlich. Versuche, in der Winterpause moderat mit dem Laufen wieder zu beginnen schlugen aufgrund der Arthritis leider wieder fehl.

Motivation

Doch der nächste Sommer brachte mich vorwärts. Ich nahm mir - sozusagen als Jahresprojekt - vor, den Ruhrtalweg mit dem Rad zu fahren. Die Strecke verläuft von Winterberg im Sauerland bis nach Duisburg über einen 240 km langen Radweg. Mein Ziel war es, morgens in Winterberg loszufahren und vor Sonnenuntergang in Duisburg anzukommen.

Der Gedanke, diese unglaublich lange Strecke an einem Tag zu fahren hat mich unglaublich motiviert. Ich erhöhte mein Trainingspensum und wurde fitter. Im August 2018 war es dann soweit. Mit dem Zug nach Winterberg, dort übernachten und am nächsten Tag ging es los. Es war eine harte Tour, aber ein so tolles Erlebnis, abends am Rheinorange nach über 10 Stunden Fahrzeit anzukommen. Das werde ich so schnell nicht vergessen.

Schleichender Erfolg

Innerhalb dieser Saison habe ich sieben Kilo an Körpergewicht verloren. Die Schübe traten immer seltener auf und wurden auch schwächer.

Der Winter folgte und - siehe da - ein leichtes Lauftraining funktionierte auf einmal ohne nennenswerte Beschwerden. Ich lief zunächst 5km, immer wieder in gefühlter Zeitlupe. Das ging recht gut. Dann waren es 10km, langsam aber immer wieder. Dem Drang, die Leistung zu steigern konnte ich nicht widerstehen. Bei meinem ersten 15km - Lauf merkte ich, dass dies nun wieder zu viel des Guten war. Ein neuer Schub bremste meine Begeisterung.

Aber ich blieb dran. 5km-Läufe, 10km-Läufe, wenn es das Winterwetter zuließ mal eine Radtour, auch gerne mal mit höherer Geschwindigkeit. So schaffte ich es mit viel Bewegung aber ohne Arthritisschub durch den Winter. Für mich ein toller Erfolg!

Weniger Gewicht - mehr Laufen - keine Probleme

Bei den Radtouren merkte ich immer mehr, dass mich hohe Geschwindigkeiten reizten. In der Saison 2019 schließlich legte ich mir ein Rennrad zu. Zudem funktionierte es recht gut, begleitend im Sommer zu laufen und im See schwimmen zu gehen. Einen Arthritisschub habe ich seitdem - toi toi toi - nicht mehr gehabt. Ich hoffe sehr, dass dies auch so bleibt.

Mittlerweile - es ist 2021 - laufe ich mehr als ich mit dem Fahrrad fahre. Ich habe meinen Spaß in Laufveranstaltungen gefunden, die im Moment leider durch Covid 19 nicht stattfinden können. Rennradfahren macht mir mindestens genausoviel Spaß, aber was das Laufen angeht, habe ich eine nächste große Motivation gefunden, die mich dranhält: Ich habe mich für einen Marathon angemeldet, ein Vorhaben, das ich vor zwei bis drei Jahren nichtmals ansatzweise für schaffbar gehalten habe. Aber das ist eine andere Geschichte.

Fazit

Das Fazit für mich: Es ist unglaublich schwer, mit Schmerzen den inneren Schweinehund zu überwinden. Aber für mich war das beste Rezept gegen Arthritis: Schmerzmittel nehmen bis die Schmerzen zurückgehen und langsam, beherzt und beharrlich nicht zu fordernd Bewegung ins Leben zu bringen. Über Gewichtsreduktion konnte ich nach und nach immer andere Sportarten treiben und somit auch langfristig die Motivation hochhalten. Mittlerweile ist aber das Ausbleiben der unvorstellbaren Schmerzen die größte Motivation, denn man kann sich nicht vorstellen, wie alles beherrschend sie sein können. Ich bleibe also dran!